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Nibiru Corebook
[978-1-912200-65-8]
$27.00
Publisher: Araukana Media
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by Roger L. [Featured Reviewer] Date Added: 01/31/2021 05:37:58

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https://www.teilzeithelden.de/2021/01/31/ersteindruck-nibiru-araukana-media-vergessen-in-einer-welt-ohne-himmel/

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Seit vielen Zyklen dreht sich die Station langsam in der Schwärze des Alls. In ihren Eingeweiden, eingezwängt zwischen sich selbst erhaltenden Maschinen unbekannter Herkunft: gewaltige Städte mit Menschen wie dir, seit Generationen aufgewachsen in einer Welt ohne Himmel, verbunden nur durch labyrinthische Gänge, und Schächte und Wartungstunnel. Menschen ohne Erinnerungen.

Wie kann man sich das Leben im Inneren einer gewaltigen Raumstation vorstellen, in der es keinen Himmel gibt, mit Städten in gewaltigen Domen aus Stahl, begleitet vom ständigen Wummern der Maschinen und rhythmischen Flackern der Elektrik? Welche Arten von Gesellschaften könnten hier entstehen, wie leben sie und was treibt sie um?

Die Welt von Nibiru basiert im Wesentlichen auf dieser Grundidee, inspiriert von Filmen wie 2001: A Space Odyssey und Alien sowie den Ringworld-Romanen von Larry Niven oder auch der jüngst verfilmten The Expanse–Buchreihe. Zusätzlich zur ungewöhnlichen Umgebung werden die Spieler:innencharaktere von fremdartigen Erinnerungen heimgesucht, die im Mittelpunkt dieses Erzählspiels stehen.

Federico Sohns, der bisher an Fallout-Rollenspielbüchern mitgearbeitet hat, hat mit dem 2019 veröffentlichten Kickstarter-Projekt in seinem ersten, eigenen Rollenspiel seine Vision einer außergewöhnlichen Science-Fiction-Welt verwirklicht.

Die Spielwelt Die vielen Hohlräume der namensgebenden Raumstation Nibiru, eine mehrere tausend Kilometer durchmessende, im Weltall kreisende Scheibe, bilden die gesamte Welt der Charaktere. Gewaltige Höhlen und Dome – Vaults genannt – sowie weiträumige Verbindungstunnel und enge Wartungsschächte bilden ein riesiges Netzwerk mit ausreichend Platz für Millionen von Menschen, die sich seit Jahrtausenden in kleinen und großen Siedlungen bis hin zu ganzen Städten zusammengefunden haben. Die wundersame Technik der Station liegt zum größten Teil im Verborgenen, umgibt die Hohlräume von allen Seiten und verbirgt damit den Blick auf die Sterne. Stattdessen wird alles von künstlichem Licht beleuchtet, automatische Systeme und Wiederaufbereitungsanlagen sorgen für Sauerstoff, Trinkwasser, Ackerboden, Licht und nicht zuletzt Strom.

Um den Kern der Station herum, wo das Leben aufgrund der geringen Gravitation leichter fällt, befindet sich der größte Teil der Bevölkerung. In tausenden von Jahren haben sich dort ganze Stadtstaaten gebildet, mit komplexen Gesellschaftsstrukturen, Dynastien, Religionen usw.

Von dieser Antumbra genannten Region aus wachsen die Siedlungen weiter nach außen, und Expeditionen entdecken immer neue Gänge und Höhlen. Je weiter man sich vom Kern entfernt, desto schwerer wird das Leben, sei es durch immer unzuverlässigere Energieversorgung, durch die schiere Weitläufigkeit der Korridore und Schächte oder durch die teils grotesk anmutenden, augenlosen Tiere, die sich an die Umgebung angepasst haben.

Das größte Hindernis jedoch bleibt ebenso ungreifbar wie allgegenwärtig: die Gravitation. Die Geometrie von Nibiru als riesige Drehscheibe bringt mit sich, dass die Gravitation ausgehend vom Kern immer weiter zunimmt, je weiter man sich zum Rand bewegt. Ab der 2G-Grenze beginnt das größtenteils unerforschte Territorium des Umbra, wo nur wenige Siedler den Kampf gegen die widrige Umwelt aufgenommen haben und wohin jene vertrieben werden, die nirgendwo mehr willkommen sind.

Die Welt von Nibiru wird umfangreich, detailliert und farbenfroh beschrieben. Jeder Region sind über 10 Seiten mit zentralen Orten, Karten und Beschreibungen der Bewohner und ihrer Kultur gewidmet. Auf fast jeder Seite findet man mindestens einen „Tale-Spark“: kleine Infokästen mit interessanten, ergänzenden Infos, Abenteueraufhängern und Gerüchten oder Legenden zum nebenstehenden Text.

Einen groben Überblick bekommt man in Kapitel Eins mit allgemeinen Informationen zu Rollenspiel an sich und zu den Inspirationen, die zu Nibiru und dem angedachten Spielfokus führten: ein Science-Fiction-Erzählspiel über verlorene Erinnerungen. Danach folgt ein Glossar mit knapp 50 stimmungsvollen Inwelt-Begriffen, von denen einem viele immer wieder begegnen werden. Wörter wie „AI“ und „Core“ (für das energieliefernde Zentrum) mögen zum Teil bekannt oder herleitbar sein, aber bei neuen Begriffen wie Arku, Kabādu oder Umbra muss man doch immer wieder mal blättern und nachschauen. Für eine Welt, die derart mit typischen realen Vorbildern oder gängigen Klischees bricht, trägt das einerseits zur Fremdartigkeit bei, birgt aber auch eine zusätzliche Hürde.

Wer sich mit den Vokabeln vertraut gemacht hat, kommt dann zum Hauptteil der Weltbeschreibung mit zirka 70 Seiten über die drei Regionen, die größeren Lebensbereiche ausgehend vom Kern namens Antumbra, Penumbra und Umbra. Jede Region wird auf mehreren Seiten detailliert beschrieben. Angefangen mit einem kurzen geschichtlichen Abriss und der Beschreibung der Einwohner und ihrer kulturellen Eigenheiten wird jeweils ein Kernelement der Gegend genauer beleuchtet.

Außerdem findet man Karten und eine Übersicht der größten Vaults mit Kurzbeschreibung und Werten zu Population, Regierungsform, führende Industrien und Religion.

Dieser Teil des Buches ist so derart voll unverbrauchter Ideen, die für sich genommen und in ihrer Masse verwirrend wirken können, aber in sich ein schlüssiges Gesamtbild ergeben, dass selbst eine grobe Zusammenfassung den Rahmen sprengen würde. Ich werde daher nachfolgend ein paar Elemente beispielhaft auflisten, die ein Gefühl für die Bandbreite der Welt von Nibiru liefern sollen:

Kuppelartige Höhlen, in denen Arkologien errichtet wurden, die fast bis an die Decke reichen Der Torus: ein schlauchförmiger, mehrere hundert Meter durchmessender Gang, der die Vaults mit Frischluft versorgt und sich durch die ganze Station zieht Schwebende Barken, die, von den Winden des Torus angetrieben, in ihm von Siedlung zu Siedlung reisen und einen weitreichenden Handel möglich machen Eine Plattform mit einer ganzen Ölraffiniere in einem senkrechten Schacht, die das darin schwimmende Öl abbaut und an den Wänden immer weiter nach unten rollt Dinosaurierartige, vierbeinige AI-Roboter, die selbstständig Waren durch die Gänge liefern, sie gegen Angreifer verteidigen und ein Logistiknetzwerk bilden Reptilienartige, augenlose Tiere, die in den Kabelschächten hausen und sich von der Energie der Station ernähren

Der Umfang neuer Ideen und die Akribie, mit der hier versucht wurde, aus einer ungewöhnlichen Anfangsprämisse neuartige Gesellschaftsstrukturen und historische Entwicklungen zu kreieren, ist gleichermaßen beeindruckend wie auch einschüchternd. Die Faszination Nibirus erschließt sich über die Zeit. Wer querliest, läuft Gefahr, einen wichtigen Absatz zu überlesen, auf den sich später häufiger bezogen wird, und einige Hintergrunddetails sind wie Rätsel quer über das ganze Buch verstreut. Das macht es zu einer Herausforderung, das Setting für Spieler:innen erlebbar zu machen, die das Regelbuch gar nicht gelesen haben.

Die Regeln Nibiru nutzt das eigene MEMOS-Regelsystem, mit dem man über das Wiedererlangen verlorengegangener Erinnerungen Fähigkeiten erwirbt. Dafür wird ein simpler Probenmechanismus genutzt, der zunächst für alle Charaktere gleich schwer bleibt, denn neu erstellte Vagabunden, wie die Spieler:innencharaktere in Nibiru genannt werden, haben zunächst keine klassischen Fertigkeiten mit Ausnahme einer einzigen Sonderfähigkeit. Das spiegelt den Status nach ihrem Erwachen wider: der Zeitpunkt, an dem sie anfangen, ihre Erinnerungen wiederzuerlangen. Herauszufinden, wer oder was sie vorher waren, kann ein essenzieller Teil des Spiels sein.

Als Spieler:in eines Vagabunden hat man bei jeder Probe die Möglichkeit, über eine Erinnerung einen Bonus oder Malus auf eine passende Fertigkeit zu erlangen. Welche das ist, kann man völlig frei festlegen. Mali dienen dazu, an die entsprechenden Memory Points (MP) zum Kaufen neuer Erinnerungen zu kommen.

Beide Seiten des CharakterbogensBeide Seiten des Charakterbogens

Der minimalistische, stark auf die Erzählung fokussierte Ansatz findet sich auch auf dem ungewöhnlichen Charakterbogen wieder, der hauptsächlich den körperlichen und geistigen Zustand des Charakters und Proben-Modifikatoren festhält, die man durch das Reisen durch die unterschiedlichen Gravitationsbereiche der Station erhält.

Der Kern des MEMOS-Systems findet sich auf der zweiten Seite, dem Journal Sheet, wo erworbene Erinnerungen aufgeschrieben werden und das jeweils eine Revelation erhält, eine Art halb unterbewusste, übernatürliche Fähigkeit unbekannten Ursprungs. Diese Revelation genannten Fähigkeiten stehen oft mit Vergangenheit und/oder Zukunft der Protagonist:innen oder ihrer Umgebung in Verbindung.

Das MEMOS-System fügt sich mit seiner Mechanik und dem einzigartigen Spielfokus in das Thema von Nibiru ein. Der Ansatz, einen Charakter als leere Hülle zu beginnen und ihn im Laufe der Abenteuer mit Leben zu füllen, wurde hier auf mechanischer Ebene konsequenter umgesetzt als in jedem anderen Rollenspiel, was ich bisher kenne. Das bedeutet aber auch, dass die Charaktere sich mechanisch zu Beginn des Spiels wertetechnisch nicht unterscheiden, sondern nur durch den gewählten Hintergrund. Die Charaktererschaffung konzentriert sich deshalb auf die besondere Stellung der Charaktere in der Welt und was sich daraus ergibt.

Charaktererschaffung Ein ganzes Kapitel ist den Vagabunden gewidmet, wie die Spieler:innencharaktere in Nibiru genannt werden. Diese unterscheiden sich durch drei wesentliche Merkmale vom Rest der Bewohner der Station: ihre Amnesie, die fremdartigen Erinnerungen, die sie nach und nach wiedererlangen und ihre daraus erwachsenen besonderen Fähigkeiten.

Die Charaktererschaffung ist dreigeteilt und beginnt mit einem Grundkonzept, wo es um die Persönlichkeit des Charakters und den Bezug zur Gruppe geht.

Danach geht man in die Vergangenheit und entscheidet sich für ein Habitat, ein teils realer (unerreichbar am Rande der Station versteckt) teils metaphysischer Ort, über den die Charaktere über ihre Erinnerungen nach und nach immer mehr erfahren und aus dem sie ihre Fähigkeiten und übernatürlichen Kräfte erhalten – aber auch zum Teil unangenehme Wahrheiten. Zu jedem Habitat gehört eine Wesenheit, die mit „ihren“ Vagabunden eine immer engere Verbindung eingeht.

Jedes Habitat wird einzeln vorgestellt mit einigen Beispielerinnerungen, einer genaueren Beschreibung der Natur des Habitats, einer Spezialfähigkeit und dem Beacon, einer zusätzlichen Möglichkeit, an MP zu kommen, die je nach Habitat anders funktioniert.

Wer sich beispielweise für das Habitat „The Machine“ entscheidet, steht mit den Erinnerungen einer erwachten K.I. in Verbindung, auf die die Spieler:innencharaktere immer mehr Zugriff bekommen. Da K.I. auf der Station meist den Menschen dienen, ist das zentrale Thema dieses Habitats der Zwiespalt, nun Teil der Gemeinschaft derer zu sein, deren Diener man (bzw. der Träger der Erinnerung) bisher war. Die Kernfertigkeit, die man zu Beginn rudimentär beherrscht, ist die Möglichkeit, mit den Maschinen der Station in ihrer eigenen Sprache zu sprechen.

Nachdem man sich für ein Habitat entschieden hat, wird als letzter Schritt für den Charakter noch festgelegt, was er seit seinem Erwachen (das muss nicht zwingend der Zeitpunkt des Spielbeginns sein) erlebt hat. Dies dient der Einordnung in die Gesellschaft, zu der er gerade gehört und der Verbindung zu anderen SC.

Die Charaktererschaffung ist bis auf die Regeln durch die Habitate so frei wie möglich gestaltet. Aufgrund des minimalistischen Systems und der Mechanik, erst durch das Freispielen von Erinnerungen auf Fertigkeitsboni zuzugreifen, sind alle Charaktere zu Beginn gleich kompetent.

Diese Freiheit bringt aber mit sich, dass jede:r Spieler:in möglichst viel über den Hintergrund gelesen haben sollte, um überhaupt Ideen über Charakterkonzepte zu bekommen. Das Kapitel über die Charaktererschaffung reicht dafür meiner Meinung nach nicht aus. Das Konzept der Habitate bleibt auch nach dem Durchlesen sehr vage und wird nicht genauer erklärt.

Auch ein bloßer Hinweis darauf, dass man die Charaktere verknüpfen sollte, ist in einem solchen System etwas wenig. Hier wurde Potenzial verschenkt, aus der besonderen Situation der Vagabunden stärkere Bindungen zu schaffen, zum Beispiel mit Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse.

Erscheinungsbild Nibiru sieht wirklich verdammt gut aus, selbst wenn man nur die PDF-Version hat. Ich kann mir vorstellen, dass das im Hardcover noch besser rüberkommt. Die großformatigen, stimmungsvollen Illustrationen halten den Erwartungen des Covers stand und gehen oft über beide Seiten, entweder seitenfüllend als Kapitelabgrenzung oder als grafisches Element zum Text, sind in einem einheitlichen Stil gehalten und qualitativ gelungen bis hervorragend.

Der in blau gehaltene Zierrahmen fügt sich optisch passend in die ebenfalls in blau verzierten Überschriften ein und stört nicht beim Lesen. Beides bildet einen gelungenen Kontrast zu den schwarzen Textkästen und den dunklen Karten.

Im PDF gehen die aufwändig gestalteten Doppelseiten leider etwas verloren, wenn man es (wie ich) mit dem Tablet im A4-Modus liest.

Die Karten dienen der groben Orientierung und einer Vorstellung der Größenverhältnisse, und der gewählte Stil fördert das Gefühl der Undurchdringbarkeit der Station: Statt klare Grenzen finden sich Linien über Linien in verschiedenen Schattierungen. Zusammen mit den wunderschönen Illustrationen und den Zierelementen bildet das alles eine Einheit, die das Gefühl des Verlorenseins in der unübersichtlichen Enge der Station sehr gut einfängt.

Fazit Nibiru macht es einem ebenso leicht, es zu mögen, wie es einem schwer macht, es komplett zu durchdringen. Die Hauptinspiration für Teile der Spielwelt stammt spürbar aus der mesopotamischen Kultur und bricht mit den in der westlichen Medienwelt beliebten und verbreiteten Klischees. Das wird vermischt mit einem eigenen Mythos, der über das ganze Regelwerk verstreut immer wieder angedeutet, aber nirgendwo konkret nachlesbar ist.

Die Bausteine für ein einzigartiges, gelungenes Rollenspielsetting mit einem fremdartigen, faszinierenden Fokus sind vorhanden. Leider ist es nicht ganz gelungen, die Versatzstücke auf eine Weise aufzubereiten und zu strukturieren, um einem Außenstehenden einen klaren Eindruck davon zu vermitteln, welche Spielinhalte letztlich für interessierte Spielleiter:innen und Spieler:innen vorgesehen sind, und wie diese bespielt werden sollen. So bleibt am Ende der Teil der Aufbereitung an der Gruppe hängen, den ein Grundregelwerk eigentlich liefern sollte. Wer sich jedoch gerne selbst weitergehende Gedanken zur Spielwelt macht, findet in diesem Grundregelwerk genügend Ansatzpunkte vor. Für eine motivierte Gruppe, die zumindest das Kapitel über die Vagabunden komplett lesen mag, kann ein sanftes Herantasten in die seltsamen Untiefen dieser gewaltigen Raumstation zu einem ganz neuen Spielerlebnis führen.

Der Ersteindruck basiert ausschließlich auf Lektüre des Regelwerks. Ich würde das System gerne einmal ausprobieren, sobald ich Spieler:innen finde, die interessiert und experimentierfreudig genug sind und ich es noch mindestens ein weiteres Mal gelesen habe.



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[4 of 5 Stars!]
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